

Politik
12 top
of
styria
2015
2030 … die Dinge sind allen
bekannt, warum gelingt der
Wechsel nicht?
Kresch:
Ich verstehe es nicht,
ich vertrete ja die Industrie,
und die Industrie ist der Wirt-
schaftszweig, der Österreich
am Laufen hält, denn wir sind
diejenigen, die unsere Produk-
te zu mindestens drei Vierteln
exportieren.
Wir
bringen Wert-
schöpfung ins Land, wir be-
schäftigen die Dienstleister, die
KMUs und unsere Mitarbei-
ter setzen im Handel um. Wir
schaffen es aber dennoch nicht,
dass wir in Wien und Brüssel
gehört werden. Ich habe ein-
mal zum Sozialminister gesagt,
ich verstehe überhaupt nicht,
dass uns nicht jeden Tag der
rote Teppich ausgerollt wird
und wenigstens ein Teil unse-
rer Anliegen umgesetzt wird.
Da gibt es dann nur politische
Aussagen dazu. Jeder weiß es,
jeder ist dafür, nur in der Um-
setzung sind wir nicht hand-
lungsfähig.
Buchmann:
In Wahrheit ist
der Unternehmer in einem
Teil des politischen Spekt-
rums kein Vor-, sondern ein
Feindbild. Hier müssten wir
eigentlich den Turnaround
schaffen. Das nimmt den Leu-
ten die Lust, erfolgreich zu
wirtschaften. Jeder nimmt
sich zurück. Ich erlebe das
bei den Wirtschaftsförderun-
gen: Du musst ja dankbar sein,
wenn du noch jemanden fin-
dest, der Zukunftsinvestitio-
nen tätigt. Viele machen ge-
rade noch die Ersatz- und In-
standhaltungsinvestitionen.
Das hat nicht nur mit dem all-
gemeinen wirtschaftlichen Kli-
ma zu tun, sondern auch mit
Lustlosigkeit, weil viele sich
unverstanden fühlen. Weil
die Probleme, die schon lan-
ge am Tisch liegen, nicht ab-
gearbeitet werden. Es ist ja
keiner in der Wirtschaft so
naiv zu glauben, dass alles
von einem Tag auf den an-
deren geht. Aber man möch-
te wenigstens irgendwo ei-
nen Anker sehen, um zu sa-
gen, okay, eine Maßnahme
kommt jetzt einmal im Be-
reich der Lohnnebenkosten,
eine kommt im Sozialversi-
cherungssystem, eine im Bil-
dungssystem. Das wird seit
Jahren immer in den Koali-
tionsabkommen vereinbart
und nie umgesetzt, weil man
sich nie auf eine Linie eini-
gen kann.
top of styria:
Herr Wilfinger,
Sie haben ein sehr erfolgrei-
ches Unternehmen in Hart-
berg aufgebaut – wie geht es
Ihnen daheim und wie geht es
Ihnen in der Welt?
Wilfinger:
Mir geht es gut. Das
ist aber nicht dem wirtschaft-
lichen Umfeld, das jetzt schon
mehrfach beschrieben wur-
de, geschuldet. Ich würde ger-
ne ein bisschen früher anset-
zen: Es ist ja fast ein Grund
instinkt der Unternehmen,
auf die Politik zu schimpfen,
und wir machen das in vie-
len Bereichen sehr gern – lei-
der oft auch berechtigt. Aber
wir müssen ein bisschen frü-
her ansetzen, nämlich bei den
Österreichern, beim Wähler.
Ich glaube, dass wir in den
letzten Jahren und Jahrzehn-
ten als Bevölkerung extrem
verwöhnt wurden. Dazu fällt
mir ein Zitat von Hannes An-
drosch ein: „Jeder Bauer ver-
steht, dass er nicht mehr ver-
teilen kann, als er erwirt-
schaftet.“ Das ist kein wahn-
sinnig philosophischer Satz,
aber letztendlich unglaublich
wahr. Nur wird er von nie-
mandem in Österreich wirk-
lich verstanden. Weil wir alle
seit Jahrzehnten mehr vertei-
len als wir haben. Das Gan-
ze basiert auf einer Schulden-
politik ohne Ende. Man könn-
te da jetzt die Protagonisten
auf Bundesebene extrem kri-
tisieren. Aber das ist alles zu
kurz gegriffen, weil wir Ös-
terreicher das alles längst ge-
wöhnt sind und eigentlich
wollen und verlangen. Früher
waren wir weltoffen und jetzt
bauen wir Lärmschutzwän-
de. Versuchen Sie heute, eine
Autobahn ohne mindestens
50 Prozent Lärmschutzwän-
de zu bauen. Und dann fah-
ren Sie einmal in die Schweiz
und schauen, wie viele Lärm-
schutzwände es dort gibt. Das
ist eine simple Metapher, aber
da liegt der Punkt. Wir Öster-
reicher haben uns extrem ver-
ändert, und wenn wir heute
wählen, spiegelt sich das viel-
fach wider.
Kresch:
Ja,
wenn
wir wählen …
Wilfinger:
Uns Unternehmer
möchte ich gar nicht ausneh-
men.
Kresch:
Wir sind ja unterei-
nander am wenigsten solida-
risch …
Wilfinger:
Wenn wir über die
Sonntagsöffnung diskutieren,
sind wir die Ersten, die die
Sonntagsöffnung selber nicht
wollen, bis auf Ausnahmen.
Wenn uns Leitl sagt, dass wir
absandeln, dann schimpfen
wir, dass er uns das sagt – frei
nach dem Motto: „Mach den
Standort nicht schlecht, quasi:
Sei nicht ehrlich.“ Aber: Er sagt
die Wahrheit. Der Überbrin-
„Mir geht es gut. Das ist aber nicht dem
wirtschaftlichen Umfeld geschuldet.“