top of styria 27 26 2023 top of styria 2023 GuterGESCHMACK GuterGESCHMACK Foto: Barbara Majcan/WKO, Schiffer Die Stimmungslage unter den GastronomieBetrieben ist grundsätzlich optimistisch: Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des market-Instituts. Aber auch wenn die Stimmung unter Gästen und Betrieben ein grundsätzlich positives Bild zeigt, bricht in der Branche kein Jubel aus. Denn Teuerungen und Konjunkturabschwung machen sich natürlich auch in der GastroBranche deutlich bemerkbar. Vor allem die seit vielen Monaten erhöhten Preise für Energie und Lebensmittel stellen unsere Betriebe vor große Herausforderungen. Die Gastronomie ist einer der Sektoren, die von der Teuerungswelle besonders hart getroffen wurden. Das Gastgewerbe bezieht durchschnittlich 36 % seiner Vorleistungen aus energieintensiven Branchen. Gestiegene Einkaufspreise bei Nahrungsmitteln und Getränken und höhere Energiekosten haben beinahe alle Betriebe in der Branche zu PreiserWie wir essen – von Tableware bis zur Tischkultur – ist eine Frage, die sagenhaft nerven kann: Eltern müssen ihren Kindern angeblich Manieren beibringen und ernten dafür nur mäßig Begeisterung. Schwieger- oder Großeltern mokieren sich zeitweise über schlechtes Benehmen und wundern sich dann über wochenlange Einsamkeit. Essen ist eigentlich der friedlichste Akt, den es gibt, und dennoch ein stetiger Konfliktherd. Und jetzt noch diese apokalyptischen Reiter: Klimawandel, Artensterben, Verschmutzung und Zerstörung von Lebensraum. Und all das hat wieder mit der Tischkultur zu tun. Oje. Durch den Klimawandel, den dramatischen Verlust an Biodiversität und Epidemien ist die zwingende Notwendigkeit des Prinzips der Nachhaltigkeit sichtbar und erlebbar geworden. Die Überzeugung, wir Menschen könnten natürliche Ressourcen unendlich und folgenlos entnehmen, gerät angesichts des Zustands unseres Planeten ins Wanken. Unsere Produktionsweise – damit ist die der westlichen Industrie- und Konsumgesellschaft gemeint – ist an einen Punkt gelangt, an dem ihre negativen Effekte nicht mehr ausgeglichen werden können. Die Natur gerät an ihre Grenzen und mit ihr unser System der industriellen Produktionsweise, die auf Massenproduktion, Massenkonsum höhungen gezwungen. Jedoch können nur die wenigsten Betriebe die Kosten voll weitergeben. Die gestiegene Preissensibilität der Gäste ist verstärkt spürbar. Die Geldbörse sitzt bei Gästen deutlich weniger locker als vor der Teuerungswelle, die Anzahl der Besuche in der Gastronomie wird eingeschränkt und auch beim Trinkgeld regiert der Sparstift. Die Betriebe selbst haben sich schon auf die veränderte Situation eingestellt und versuchen mit Energiesparmaßnahmen oder Preisvergleichen bei Lieferant:innen den erhöhten Kosten entgegenzuwirken. Aber der Druck bleibt für viele Betriebe extrem groß. Durch die Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne bzw. -gehälter ab 1. Mai 2023 um 9,3 % wird die Ertragsspanne in der Gastronomie weiter eingeschränkt. Dabei darf nicht überund Müll basiert. Es liegt allerdings in unserer Hand – und das ist die gute Nachricht – dieses System zu verändern. Die Frage ist nur wie? Und was bedeutet das für unsere Esskultur? Essen ist auch ein politischer Akt Ob sich diewestlicheWelt für oder gegen Nachhaltigkeit entscheidet, wird sich nicht zuletzt an ihrem Umgang mit täglichen Verrichtungen und den dafür verwendeten Produkten entscheiden. Und diese folgen immer einem kulturellen Narrativ. Jede Handlung ordnet sich einem sozialen Korsett unter, das es der oder dem Einzelnen erschwert, aus den gruppeneigenen Verhaltensmustern auszubrechen. Wer sich dem gängigen Sozialverhalten entzieht, gerät sozial schnell unter Druck. Unser Essverhalten ist von gemeinschaftlichen Werten geprägt. Im Normalfall halten wir uns beim Essen an Regeln. Das ist grundsätzlich eine gute Sache, dient es doch dem friedlichen Zusammenleben. Es kann aber vorkommen, dass uns Werte und Regeln nicht ganz sehen werden, dass der Lohnkostenanteil in der Gastronomie teilweise bei über 40 Prozent liegt. Lohnerhöhungen fallen daher in Gastronomiebetrieben im Verhältnis wesentlich stärker ins Gewicht als etwa in produzierenden Branchen. Die Kostensteigerungen für die Betriebe und die weiterhin hohe Inflation schaffen viel Brisanz für die Lohnverhandlungen im kommenden Jahr. Auch die Suche nach Mitarbeiter: -innen bleibt ein dringliches Thema in der Branche. Viele Unternehmen klagen über Schwierigkeiten bei der Personalbeschaffung und einen anhaltenden Arbeitskräftemangel, und zwar nicht nur in der Gastronomie, sondern branchen- und auch länderübergreifend. Der Arbeitskräftemangel ist auch kein Resultat fehlender Vermittlungstätigkeit. Das Problem ist einfach, dass zu wenig Personen zur Verfügung stehen, um richtig vorkommen, wir sie aber in Gesellschaft nicht brechen wollen, weil es schlicht zu peinlich ist. Während eines mehrgängigen Menüs auf das Abräumen und Neuservieren von Geschirr und Besteck zu verzichten, um Spülmittel, Energie und Arbeit zu sparen, widerspricht unserer derzeitigen Tischkultur, ebenso wie die Essensreste nach jedem Gang in einen transparenten Tischmistkübel zu verfrachten und dadurch am die vielen offenen Stellen zu besetzen. Die Hauptgründe dafür sind demografischer Wandel und vermehrter Freizeitfokus der Mitarbeiter:innen. In diesem Zusammenhang ist das oftmals pauschale Schlechtreden der Branche, vielfach ohne jede Grundlage, nicht besonders konstruktiv und hilfreich. Trotz saisonalbedingter Schwankungen weist die Gastronomie einen hohen Anteil an Stamm-Mitarbeiter:innen aus. Jeder 2. Betrieb hat einen StammMitarbeiter:innen-Anteil von zumindest 80 Prozent der Belegschaft. Das zeigt sich auch beim innerbetrieblichen Engagement für die eigenenMitarbeiter:innen – hier hat sich viel getan: die Branche ist noch mitarbeiter:innenorientierter geworden. Die Tourismuswirtschaft ist eine der am stärksten wachsenden Zukunftsbranchen, die vielfältige Beschäftigungsfelder und spannende Karriere- und Spezialisierungsmöglichkeiten bietet. Damit das so bleibt, erwarten wir uns von der Politik begleitende Maßnahmen, wie die Senkung der Lohnnebenkosten und Steuererleichterungen rund um die Betriebsübergabe. Auch eine unbürokratische Beschäftigungsmöglichkeit von Aushilfen und Drittstaatenangehörigen, ebenso wie steuerfreie Prämienzahlungen an Mitarbeiter:innen sind einige der brennendsten Anliegen der heimischen Gastronomiebetriebe. Tisch sichtbar zu machen, oder das Verteilen von Resten an andere Gäste. Ein Umgang mit Nahrung, der den gesellschaftlichen Normen widerspricht, irritiert. Esssituationen, die herkömmliche Konventionen, wenn auch nur in kleinen Details, unterlaufen, erregen Menschen. Der Verzehr der Leftovers vom Nachbartisch im Wirtshaus kann einen Lokalverweis nach sich ziehen und wer offenkundig die Tischmanieren missachtet, wird bestenfalls ignoriert, im schlimmsten Fall aus der Gruppe ausgeschlossen. Wenn wir Gepflogenheiten hinterfragen und unser kulturelles Gedächtnis ein wenig löschen, dann taucht die Frage auf: Warum essen wir genau so, wie wir eben essen? Und: Könnten wir nicht auch ganz anders essen? Teuerungen und Arbeitskräftemangel belasten die heimische Gastronomie Klaus Josef FRIEDL Martin HABLESREITER & Sonja STUMMERER Klaus Josef Friedl ist stv. Sparten- und Fachverbandsobmann der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Steiermark. „Die Tourismuswirtschaft ist eine der am stärksten wachsenden Zukunftsbranchen, die vielfältige Beschäftigungsfelder und spannende Karriere- und Spezialisierungsmöglichkeiten bietet. Damit das so bleibt, erwarten wir uns von der Politik begleitende Maßnahmen, wie die Senkung der Lohnnebenkosten und Steuererleichterungen rund um die Betriebsübergabe.“ Martin Hablesreiter ist Architekt und Fooddesigner. Gemeinsam mit Sonja Stummerer hat er das interdisziplinäre Designatelier “Honey & Bunny” in Wien gegründet, das Filme, Bücher, Ausstellungen, Performances, Architektur und Vorträge zum Thema Essen bietet. Warum essen wir genau so? „Essen ist eigentlich der friedlichste Akt, den es gibt, und dennoch ein stetiger Konfliktherd. Und jetzt noch diese apokalyptischen Reiter: Klimawandel, Artensterben, Verschmutzung und Zerstörung von Lebensraum. Und all das hat wieder mit der Tischkultur zu tun. Oje.“ Fotos: honey & bunny|Daisuke Akita, Schiffer
RkJQdWJsaXNoZXIy NDYwNjU=